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Anjas Bericht zur Kettenhunderunde

Es ist der 20. April 2022, 7:40 Uhr deutscher Zeit, „gleich geht es los…“ Denke ich noch, als plötzlich die Durchsage kommt „der Flug von Berlin nach Heraklion verspätet sich“ neue Abflugszeit 9:00 Uhr. Es ist ein Flug, wie ich ihn schon oft gemacht habe, wie ich ihn mehrmals jährlich mache. Es ist April, es ist die Zeit der Kettenhunderunde auf Kreta. Der Flug startet fast pünktlich 9 Uhr. 12 Uhr lande ich am Flughafen Heraklion. Manos mein Autovermieter übergibt mit meinen kleinen roten Flitzer. Nur noch 1,5 Stunden fahren, dann habe ich mein Ziel erreicht, noch etwa 2 Stunden und ich sehe Brigitte und die Anderen wieder, meine APAL- Familie. So fühlt es sich an, wie eine Familie. Endlich angekommenen, zögere ich nicht lange und düse zur APAL-Station. Endlich wieder da, 2 Monate können sehr lang sein…Als erstes schaue ich welche liebenswerten Hunde denn dieses Mal eingezogen sind…Mama und Papa mit ihrem Baby, sie sind zuckersüße, liebe Schlappohrhunde, die leider nur vorübergehend vom großen Glück kosten dürfen. Sie sind nur eine kurze Zeit vor Ort, da beide kastriert wurden, alle Versuche den Besitzer zu überzeugen die Beiden abzugeben, sind leider gescheitert. Also müssen sie zurück…was ist das für eine Vorstellung…sie sind das erste Mal im Leben, geborgen, sicher und ohne die lebenseinschränkende Kette, sie sind ein Stückchen frei. Die Vorstellung, das sie in ihr altes einsames und trostloses Leben zurück sollen, bricht mir das Herz.

Pascal, ein junger wunderschöner Rüde, der sein Glück kaum fassen kann, endlich Zuneigung und Liebe spüren zu dürfen. Fabian, ein zunächst sehr ängstlicher Hund, der es aber geschafft hat innerhalb weniger Tage sein altes Leben hinter sich zu lassen und neu zu vertrauen, obwohl er vermutlich sehr viel Leid erfahren musste. Man sagt die Hunde leben im Hier und Jetzt, sie denken nicht darüber nach was morgen kommt oder was gestern war. Soll es wirklich so sein? Emil, oh ja Emil ein wunderschöner junger Hund mit unbändiger Energie und Lebensfreude, ein toller Kerl. Toulouse: er begrüßte mich zunächst nicht besonders freundlich, ich ließ ihm die Zeit, die er brauchte und kurze Zeit später dachte er sich, nah gut dann bin ich eben doch freundlich zu ihr. Agapi: oh wie sehr habe ich gehofft, dass sie noch da ist, wenn ich auf Kreta ankomme…Glück gehabt die kleine unfassbar niedliche Hundeomi ist noch da. Aristea: eine bezaubernde, leider schwer krebserkrankte Hündin, die aber über einen unbändiger Lebensmut verfügt, der ansteckend ist. Tilda: oh ja Tilda…sie lag zunächst einige Tage bei Brigitte unter dem Tisch, aber als sie merkte, das alles in Ordnung ist und ihr nichts Schlimmes passiert, taute sie innerhalb kürzester Zeit auf und entpuppte sich als kleine sehr lustige und charmante, manchmal etwas übermütige Zaubermaus. Lenja: Lenja kam zusammen mit Lasse. Beide blieben die erste Zeit nur in ihrer Hütte und trauten dem neuen Frieden nicht. Was haben sie wohl erlebt, dass Menschen ihnen solche riesigen Angst machen, zitternd liegen sie in ihrer Hütte. Möchte ich wirklich wissen warum sie solche Angst haben? Einige Tage später versucht Lenja als erste ihr neues Leben zaghaft zu erkunden…nur Mal kurz schnuppern, es ist alles so spannend, aber sie schafft es noch nicht gänzlich über ihren Schatten zu springen. Auch Lasse versucht seit ein paar Tagen außerhalb der Hütte, das Leben zu entdecken. Lasse und Lenja zwei gezeichnete Tiere, welche trotz all ihrer Erfahrungen, wieder Vertrauen zu Menschen fassen werden.

Neben den Hunden haben noch einige Katzen Zuflucht in der erst vor wenigen Monaten neu errichteten Cattery gefunden. Darunter Ramses ein kleiner, erst wenige Wochen alter rot-weißer Katzer. Ein niedliches kleines Kerlchen, der am liebsten den ganzen Tag spielt. Nächste Woche Mittwoch soll sein neues Leben in Deutschland beginnen.

Die nächsten Tage werden wir die Stall- und Wegehunde, welche es in Griechenland leider Zuhauf gibt, versorgen. Wir werden sie füttern, ihre Wassereimer säubern, ihnen frisches Wasser, oder überhaupt Wasser, geben und ihren Bereich säubern. Sie erhalten von uns Wurmkuren und Parasitenhalsbänder und werden gegen Flöhe und andere kleine Blutsauger behandelt. Wir putzen ihnen die Ohren und geben ihnen etwas Liebe und Zuneigung. Was wir in dieser Zeit sehen, lässt einem das Blut in den Adern gefrieren. Hunde mutterseelenallein, irgendwo im Nirgendwo angekettet. In Gegenden, die nur mit einem Jeep befahrbar sind. Sie haben teilweise kein Wasser oder es ist grün. Alle haben riesigen Hunger und freuen sich über die Leckerlies, die wir ihnen mitbringen. Wir sehen sehr viele ängstliche Hunde, vom Leben an der Kette gezeichnete Hunde. Sie sind ängstlich, skeptisch und wissen nicht wie ihnen geschieht. Dennoch sieht man ein Leuchten in ihren Augen wenn sie das leckerer Futter oder die Leckerlies bekommen. Es ist ein Lechten was man nie mehr vergisst und was einem bewusst macht, warum sich all der Aufwand, die seelische Belastung  und alles drum herum lohnen. Es lohnt sich weil dieses Leuchten, dieser kurze Augenblick der Freude es Wert ist. APAL bringt einmal im Jahr dieses Funkeln in die Augen der Hunde, deren Blicke sonst sehr traurig sind. Wenn wir etwa 2 oder drei Stunden von einem Stall zum Nächsten, von eine Einöde in die Nächste gefahren sind, wird es immer ziemlich still im Auto. Ich mag kaum mehr reden, die Eindrücke, das Gesehene ist beklemmend. Wie kann an einem so wundervollen Ort, der in seiner natürlichen Schönheit glänzt, wo die Natur Wundervolles erschaffen hat, nur so viel Leid den Tieren gegenüber passieren. An manchen Ställen treffen wir die Besitzer der Hunde, freudig und freundlich begrüßen sie uns, es ist fast so als hätten sie schon auf uns gewartet. Da ist sie wieder griechische Mentalität mit ihrer Gastfreundschaft, uns wird Kaffee angeboten, Käse und Raki. Und wieder stelle ich mir Fragen, wie, warum tut ihr ihnen das an? Ihr seid nett, warum seid ihr es nicht zu euren Tieren? Ich möchte sie schütteln und ihnen sagen „macht eure Augen auf, seht hin, euer Hund leidet! Helft ihm…sofort!!! Doch das geht natürlich nicht, wenn sie uns nicht mehr vertrauen, sind die Hunde verloren, also sind auch wir freundlich zu ihnen. Brigitte versucht immer mal wieder sachlich mit den Besitzern zu reden, etwa wenn ein gerade mal vielleicht etwa 8 Wochen alter Welpe an der Kette hängt. Sie erklärt ihnen, dass es kein Leben für den Hund ist und sie ihn von der Kette nehmen sollen….ich bin gespannt, ob wir den Kleinen im nächsten Jahr noch immer  an diesem Platz finden werden.  

Dienstag Abend steht etwas Schönes auf der Tagesordnung. Wir treffen uns mit Thomas, Melanie, Christina und Christina des Tierärztepools, der beim Förderverein Arche Noah Kreta e.V. angesiedelt ist. Auch die Söhne von Melanie und Christina sind mit dabei. Ich freue mich schon sehr darauf. Ich kenne die Menschen vom Tierärztepool nur von ihren Taten, persönlich getroffen hatte ich bis dahin leider noch Niemanden. Der Tierärztepool ist unter anderem auf Kreta sehr aktiv und führt sehr erfolgreich Kastrationsprogramme durch. Deshalb ist die Zusammenarbeit mit ihnen auch sehr eng.

Es wird ein schöner Abend, bei leckerem Essen. Wir unterhalten uns über viele Tierschutzthemen, aber auch die ein oder andere Anekdote wird erzählt. Ich treffe an diesem Abend Menschen, die Tiere unglaublich lieben, alles versuchen würden, um sie zu retten und vorallem die Tierschutz leben, auch wenn es bedeutet über die eigenen Grenzen zu gehen.

Sonntag beschließen wir einen ruhigeren Tag zu machen…immerhin ist Ostern…ja in Griechenland war an diesem Sonntag Ostern. Ich beschloss Christina vom Tierärztepool zu fragen, ob ich vorbeikommen könne, um mir das vom Tierärztepool erschaffene New Life Resort anzusehen. Sofort sagte Christina, das es kein Problem sei und ich kommen könne…juhu. Beim New Life Resort angekommen, zeigt mir Christina alles, die Quarantänestationen, einen kleinen OP, Hundeauslauf und Katzenzimmer, das ist natürlich lang nicht alles. Christina beantwortet geduldig alle meine Fragen. Er war einfach schön…danke Christina.

Es ist Montag, ich mache die Cattery und Stelle fest, dass der sonst so lebenslustige kleine Ramses gar nicht gut drauf ist. Er liegt in seinem Körbchen und frisst nichts. Brigitte kommt rein, wir schauen uns an und ohne vieler  Worte wissen wir beide, dass es Ernst ist. Er muss seinen Käfig verlassen und wir setzen ihn in Brigittes Wohnzimmer in Quarantäne.  Am Nachmittag ist Ramses unverändert schlecht, er frisst und trinkt nichts und liegt nur in seinem Körbchen. Wir versorgen ihn mit Infusionen, Medikamenten,  er wird zwangsgefüttert…wir hoffen und bangen…bitte lass es keine Parvo sein, lass  ihn das schaffen. Dienstag, er hat die Nacht überstanden. Guy fährt gleich am Morgen mit ihm zum Tierarzt. Er kommt mit Ramses und einem Antibiotikum zurück. In diesem Moment merke ich wieder wie gut unser tiermedizinisches System ist. Bei uns gibt es inzwischen sogar Tierärzte die auf Onkolgie, Urologie oder andere Bereiche spezialisiert sind. Auf Kreta ist das anders…Ramses hätte einer Intensivmedizinischen Betreuung bei einem Tierarzt oder einer Klinik bedurft… Aber auf Kreta ist es anders…Brigitte gibt alles, sie will ihn um keinen Preis verlieren. Er sollte doch in sein neues Leben ziehen.

Es ist Mittwoch, der Morgen meiner Abreise. Erstmal alle Hunde versorgen, mit ihnen Gassi gehen…ein kurzes Frühstück und einen  Kaffee schaffen wir noch, bevor ich los muss. Dann die schreckliche Gewissheit…Ramses hat die Nacht nicht überstanden. Eine erdrückende Stille, Betroffenheit und tiefe Traurigkeit liegt plötzlich in der Luft. Das darf doch nicht wahr sein, warum? Er war doch noch ein Baby…wahrscheinlich war es leider doch Parvovirose. Eine Erkrankung, die schrecklich gefährlich ist und sehr vielen Tieren das Leben kostet.

Lieber kleiner Ramses, wir werden dich nicht vergessen!!!

Nun heißt es wieder einmal Abschied nehmen, wie immer fällt es mir unglaublich schwer. Ich würde doch viel lieber hier bleiben, den Tieren hier weiterhin helfen, anstatt morgen früh halb sieben in meinem Büro zu sitzen. Aber es nützt nichts. Immerhin sind meine Lieblingsmenschen und Lieblingstiere in Deutschland und auf sie freue ich mich riesig.

Eineinhalb Stunden Fahrt liegt vor mir, um den Flughafen von Heraklion zu erreichen. Während ich fahre, blicke ich sehnsüchtig auf die Schönheit dieser Insel, die mich seit meinem ersten Besuch mehr als fesselt. Aber neben all dieser Begeisterung über die Natur, bleibt doch nach jedem Aufenthalt sehr viel Wehmut und Traurigkeit zurück. Wie können die Menschen so mit den Tieren umgehen? Warum sehen sie ihr Leid nicht? Warum sehen sie sie nicht als fühlende Wesen? Warum helfen sie ihnen nicht???

Nach jedem Aufenthalt bin ich froh und dankbar, dass APAL, und insbesondere  Brigitte und Guy (seit Jahren geben sie JEDEN TAG ALLES für die Tiere) alles gibt, um das Leben der Tiere ein kleines bisschen schöner zu machen, auch wenn es für sie bedeutet Vieles zu opfern, über eigene Grenzen zu gehen Überforderungen aushalten zu müssen und Vieles mehr. Ich danke euch von ganzem Herzen, dass ihr jeden Tag und (Brigitte) jede Nacht für die Tiere da seid!!!!

Ich bin unendlich froh und dankbar euch alle zu kennen…meine APAL- Familie!!!